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Weder Liebesheirat noch Zwangsehe
2021 jährt sich die Eingemeindung Kappels nach Bad Buchau zum 50. Mal
Artikel von Annette Schwarz aus der Schwäbischen Zeitung vom 31.12.2021
Corona ist und bleibt das alles bestimmende Thema. Nach dem 1250-Jahre-Jubiläum Bad Buchaus ist nun auch ein weiterer Jahrestag der Stadtgeschichte durch die Wirren der Pandemie in den Hintergrund getreten: 1971, vor 50 Jahren, wurde aus der selbstständigen Gemeinde Kappel ein Ortsteil Bad Buchaus - und das „mehr oder weniger freiwillig“, wie Bürgermeister Peter Diesch die Eingemeindung rückblickend bewertet. 50 Jahre „Bad Buchau-Kappel“ - ein Grund zu feiern? Durchaus, findet Diesch, der die letzte Gemeinderatssitzung des Jahres nutzte, um „ein ganz besonderes Ereignis zu würdigen“.
Wie die Kappeler 1970 wohl die Silvesternacht erlebten? In Feierlaune oder eher missmutig, betrübt oder gar besorgt ins neue Jahr blickend? Sahen sie einen Grund, um miteinander anzustoßen? Schließlich wurde es zum Jahreswechsel ganz offiziell: Am 1. Januar 1971 wurde die Eingemeindung vollzogen. Kappel gehörte fortan Bad Buchau an, aus der Gemeinde war ein Ortsteil geworden.
Über Jahrhunderte hinweg - unterbrochen nur von einer kurzen Phase während des Zweiten Weltkriegs - war Kappel selbstständig gewesen. Das Dorf blickt auf eine reiche Geschichte zurück, seine Ursprünge reichen bis ins frühe Mittelalter. Sein Name bezieht sich wohl auf eine Taufkapelle, die sich bereits im siebten Jahrhundert über dem Federsee erhob. Nach wechselnden Herrschaften ging Kappel ab 1458 und bis zur Säkularisation in den Besitz des Buchauer Damenstifts über. In dieser Zeit, ab 1793, siedelte sich auch eine jüdische Gemeinde an, mit großer Synagoge und eigener Schule. 1806 wurde das Dorf ins Königreich Württemberg eingegliedert.
Anfang der 1970er-Jahre gerieten die alten Strukturen allerdings auf den Prüfstand. Die Landesregierung strebte eine Gebietsreform an, die letztlich auch dazu führte, dass der Landkreis Saulgau 1973 aufgelöst wurde. Zudem kündigte der damalige Kappeler Bürgermeister Engelbert Wild Anfang 1970 nach 24 Jahren im Amt an, aus gesundheitlichen Gründen nicht erneut kandidieren zu wollen. Für die Gemeinderäte gab dies den Ausschlag, sich über die Zukunft der Gemeinde Gedanken zu machen.
Eine Eingemeindung nach Bad Buchau erschien nicht nur durch die räumliche Nähe naheliegend, gab es doch auch durch die Geschichte, die Kirchengemeinde und auch den gemeinsamen Friedhof zahlreiche Berührungspunkte. Für die Kappeler war dieser Schritt zwar keine Liebesheirat, aber auch keine Zwangsehe, wie Bürgermeister Peter Diesch in seinem Rückblick betont: „Der Eingemeindung voraus ging ein offenkundig schmerzhafter Diskussions- und Meinungsbildungsprozess, der vor allem auf Kappeler Seite durchaus nachhaltig Wunden hinterlassen hat - dennoch: Die Initiative ging von Kappel aus, es war alles andere als eine Zwangseingemeindung seitens Bad Buchaus. Schlussendlich war es ein demokratischer Mehrheitsbeschluss des damaligen Gemeinderates in Kappel, der die Eingemeindung überhaupt erst möglich gemacht hat.“
Dass sich das Gremium bei der Abstimmung 1970 so deutlich für den Zusammenschluss aussprach, hat, so Diesch, dennoch viele Außenstehende überrascht. Denn bei der Bürgeranhörung wenige Wochen zuvor am 15. November 1970 war das Stimmungsbild eigentlich klar gewesen: Von 443 Bürgerinnen und Bürgern Kappels schritten 380 zur Wahlurne, von denen 62 Prozent, also fast zwei Drittel, mit einem Nein zur Eingemeindung stimmten.
Das Votum war jedoch nicht rechtlich bindend und nach reiflicher Überlegung kamen die Kappeler Gemeinderäte zu einem anderen Entschluss. „Alle, die es heute nicht begreifen wollen, wird die Zukunft lehren, dass wir richtig gehandelt haben“, begründete Gemeinderat Theo Gnann damals bei der Eingemeindung die Entscheidung. Gnann war es auch, der als zweiter Bürgermeisterstellvertreter von Kappeler Seite aus den Eingemeindungsvertrag unterschrieb - nachdem sich der erste Bürgermeisterstellvertreter August Bohnenstengel nach den heftigen Reaktionen aus der Bevölkerung dafür nicht zur Verfügung stellen wollte. Von Buchauer Seite setzte Bürgermeisterstellvertreter Klemens Diesch, Großvater des heutigen Bürgermeisters, seine Unterschrift unter den Vertrag.
Und wie ging es danach weiter? „Man kann sich lebhaft vorstellen, dass die ersten gemeinsamen Jahre von Bad Buchau und seinem neuen Stadtteil Kappel alles andere als einfach waren“, so Bürgermeister Diesch, der dabei seinen Vorgänger Harald Müller zitiert: „Die Kappeler Bürger im ehemals stolzen stiftischen Dorf haben schon immer etwas auf das arme kleinbürgerliche Buchau ,heruntergeblickt' - nicht nur geografisch“, so Bürgermeister a. D. Müller. „Da war es nicht einfach, sich unter deren ,Herrschaft' zu begeben.“ In seiner Amtszeit sei er deshalb immer auf eine Balance bedacht gewesen, um die „Kappeler Würde“ nicht zu verletzen. Die Dorfsanierung, Instandsetzung von Straßen und die Ausweisung von Bau- und Gewerbeflächen in Kappel hätten dazu beigetragen. „Auch die Freiwillige Feuerwehr hat in Kappel ihr Zuhause gefunden“, ergänzt Diesch. „Und auch in den Köpfen vor allem der jungen Generation ist ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden.“ Von der Eingemeindung hätten schließlich beide Seiten profitiert.
In 50 gemeinsamen Jahren sind Buchau und Kappel zusammengewachsen. Noch immer pflegen die Kappeler ihren Lokalpatriotismus und zuweilen gibt es auch kleine Frotzeleien zwischen den Stadtteilen. Im Jahr der „goldenen Hochzeit“ vermag das jedoch der Beziehung nur zusätzlich Würze zu verleihen und täuscht nicht darüber hinweg, dass Buchau und Kappel zusammengehören. Einen „Kappxit“ jedenfalls mag man sich beim besten Willen nicht vorstellen.